Die Knoten des Lebens in Zeit und Raum – ein geschichtlicher Abriss über die Lebensphilosophie der Inkas
Die Knoten des Lebens in Zeit und Raum – ein geschichtlicher Abriss über die Lebensphilosophie der Inkas
Germán Muruchi PomaVortrag
Freitag
9.00 Uhr
Download
Germán Muruchi Poma - Was heißt Gutes Leben oder Buen Vivir?
Die Knoten des Lebens in Zeit und Raum – ein geschichtlicher Abriss über die Lebensphilosophie der Inkas
Als ich meinen Vater fragte, warum und für wen er diese Dankbarkeit so eifrig vorbereite, drehte er sein Gesicht mit der von Kokablättern aufgeblähten Wange mir zu und schaute mich zunächst mit voller Verwunderung an. Er hatte auf dem Fußoden ein buntes gewebtes Tuch bereit gelegt und darauf standen kleine aus Fett geformte Lamas und Schaffiguren und andere Figuren aus Zuckerwerk. Mein Vater setzte seine Vorbereitung mit größter Aufmerksamkeit fort,ohne auf meine Fragen einzugehen. Dann sprach er namentlich die Berge an. Nach dem er seine Arbeit beendet hatte, wandte er sich an mich:
Das Trinkwasser für uns und unsere Tiere entspringt aus den Bergen. Die für uns lebensnotwendigen Pflanzen wachsen auf den Feldern. Und wo befinden sie sich? - Jedes Jahr auf einem anderem Berg, sagte ich. Sehr gut, sagte er und fragte: Warum sollten wir nicht nur den Bergen, sondern auch der Sonne, den Wolken und den Sternen danken? Wir leben schließlich mit ihnen und sie mit uns, warum sollten wir sie nicht ansprechen und sie aus Dankbarkeit beschenken.
Diese Unterhaltung hat mich bis heute beschäftigt. Als ich mich der Thematik des „Buen Convivir“, bzw. des „Vivir Bien“ zuwendete, waren die Antworten meines Vaters für das Verständnis dieses Lebenskonzepts von grundlegender Bedeutung. Das Leben stellt sich für mich in verschiedenen voneinander abhängigen Knoten dar. Ein Knoten steht für die Natur als Lebensraum (Erde, Wasser, Luft..). Die aus ihr hervorgehenden Pflanzen (als Lebensgrundlage für Tier und Mensch) bilden einen anderen Knoten. Wir Menschen und die Tiere sind auch ein Lebensknoten. Wir stehen am Ende aber auch am Anfang dieser Knoten, Zeitzyklus. Es hängt von uns ab, ob wir die miteinander verflochtenen organischen Lebensformen in ihrem Gleichgewicht von neuem fortsetzen oder zerstören. Das ist der Kern des Aufrufs des „Buen Convivir“. Damit haben wir aber den abendländischen Lebensstil in Frage gestellt. Und es wundert mich nicht, dass inzwischen eine scharfe Kritik an diesem Konzept entstanden ist.
Germán Muruchi Poma
Dr. Germán Muruchi Poma ist 1950 in Bolivien geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften in Leipzig und promovierte 1985 zum Thema Revolutionärer Demokratismus José Martis. Poma beschäftigt sich insbesondere mit der Geschichte des ökonomischen Denkens.
Zur Zeit ist er Herausgeber des elektronischen Newsletter Tani Tani in spanischer Sprache, der in Bolivien, aber auch unter den Bolivianer*innen in Europa bekannt ist.
Poma veröffentlichte mehrere Bücher u.a.: “Evo Morales - Die Biografie” (Militzke Verlag) (2007), „Ponchos Rojos“ (2008) und „Qhapaq Ñan y Socialismo“.